Kiddo ist da
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© 2012

Kiddo ist da

Seit nun schon sieben Jahren arbeite ich als Kinderkrankenschwester auf einer Kinderintensivstation. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Versorgung extremst kleiner Frühgeborener und schwerkranker Neugeborener. Und auch wenn ich meine Arbeit liebe, so bin ich doch jeden Tag froh, nach acht Stunden Dienst den blauen Kittel gegen die Jeans zu tauschen und mich daheim faul und bequem auf das Sofa fallen zu lassen. Nicht auszudenken, wenn kleine Kinderpatschehändchen mich aus meinen Mittagschlafträumen holen würden, weil der Teddy jetzt unbedingt 'nen Schokoladenpudding braucht… nee, da ist im Moment der Egoismus noch stärker… Und der Gedanken mitten in der Nacht aufzustehen ließe mich schon gar nicht einschlafen. Aber darüber brauchte ich mir keine Sorgen machen, acht Stunden Arbeit und der Rest des Tages Ruhe war ein perfektes ausgeglichenes Verhältnis. Bis zum ersten Aprilsonntag diesen Jahres.

Der Mann schickte mir eine heimliche (Handys sind auf der Arbeit natürlich immer aus) SMS mit den Worten „Kiddo ist da“. Nachdem unsere kleine Lucy kurz nach Weihnachten über die Regenbogenbrücke gegangen war, stand für uns fest, dass uns irgendwann ein Katzenwesen finden wird, welches genau uns und unsere Hilfe braucht. Und genau dann würden wir auch wieder unser Herz öffnen. Der Name Kiddo stand schon lange fest, nämlich die Hauptfigur aus „Kill Bill“, unser Lieblingsfilm. Aber so während eines Sonntagspätdienstes war dann doch ein bisschen plötzlich. 210 Gramm, maximal zehn Tage alt - das waren die Infos, die ich bekam. Auf die komplette Geschichte musste ich noch warten, bis ich daheim die Tür aufschloss. Da lag der Mann auf dem Sofa und unter seiner Hand eine kleine Portion Katzenleben. Das kleine Wesen konnte noch nicht mal vollständig die Augen öffnen und gucken wo es da hin geraten war.

Nun also… es war einmal eine sehr hübsche nette Tierärztin, die uns und Lucy durch ganz viele Höhen und Tiefen und letztendlich sogar bis zur Regenbogenbrücke begleitet hat. Diese Tierärztin rief an jenem Sonntag den Mann an und fragte sehr charmant, ob wir denn eine Katze aufnehmen würden und wie jung die denn sein dürfe? Und als der Mann am Telefon schon zögerte, bat sie ihn, sich die Kleine doch mal anzusehen. Na ja – hübsche Tierärztin, süße hilflose Minikatze – alles klar, ne? Die kleine Katze lag am Wegesrand, wurde von Passanten aufgehoben und zur Tierklinik gebracht, mit dem schlichten lieblosen Kommentar, sie doch einfach einzuschläfern. Allerdings war der kleine Kämpfer sehr stabil in seinen Vitalfunktionen, gut genährt und bot keinerlei Anzeichen für eine Krankheit. Die Tierärztin brachte es nicht übers Herz, dieses Leben gleich wieder zu beenden, wusste aber auch nicht wohin mit der Babykatze. Sie erinnerte sich an uns und rief dann den Mann an.

Tja und damit war`s dann vorbei mit dem bequemen kinderlosen Leben. Dreistündlich brauchte das kleine Katzenbaby seine Milchflasche, danach Bauchmassage, Pipi machen, Kirschkernkissen erwärmen, Baby ins Bett packen und in den Schlaf streicheln. Dann blieben zwei Stunden bis zur nächsten „Versorgungsrunde“. Die Augenringe wurden tiefer, die Stimmung gereizter. Ich erinnerte mich an den Tipp, den ich unseren Müttern mit auf den Weg nach Hause gebe: „Schlafen sie, wenn ihr Baby schläft.“ Tolle Idee…und wer wäscht die Wäsche, putzt das Bad und kocht das Essen? Die Lösung: die Waschmaschine blieb leer, das Bad ungeputzt und Essen kochte der nette Mann vom Asia-Imbiss ;-). Und so bekamen wir das Kleine tatsächlich größer, munterer und frecher. Ganz die Kinderkrankenschwester überprüfte ich akribisch Gewicht, Nahrungsaufnahme und Ausscheidung. Nachdem das Findelkind mal die Treppe runtergepurzelt war, kontrollierte ich zweistündlich die Bewusstseinslage, bis ein Beschwerdemiau signalisierte, dass ständiges Wecken schlicht und einfach blöd und unnötig wäre. Und so wurde der Abstand zwischen den Flaschenmahlzeiten größer. Der Mann und ich teilten uns das Aufpäppeln und unser Kater Quentin meditierte eine große Portion Glücksstaub her, damit Kiddo alles gut überstand. Und weil das Kiddo-Katzen-Kind immer brav die Flaschen austrank, wurde es groß und stark.

Heute ist Kiddo ein dreieinhalb Monate altes Katzenkind in den frechsten Jahren, ähh Monaten, wiegt 2,5 Kilogramm und frisst am liebsten das Futter aus Quentin‘s Napf. Vielleicht schläft er 8 Stunden am Tag (man könnte ja was verpassen), aber in der restlichen Zeit wird der Quentin aus dem Kommandokörbchen vertrieben, die Blumentöpfe des Nachbarbalkons umgegraben, die frisch gewaschene Wäsche von der Leine geholt („warschontrocken-verlegenputz“), die Kuschelmaus durch die Wohnung getragen, Papierstapel umgestapelt, Papierbälle gejagt, die Palmenblätter bekämpft, die Lätta aus der Dose geleckt und mir das Sonntagsfrühstücksei abgeschwatzt.

Der Kater Quentin ist häufig irritiert, was so 'ne kleine Katze an seinem Schwanz so faszinierend findet, übernimmt die Erziehung und macht klar, wer hier der Große ist. Er versucht den jugendlichen Leichtsinn entspannt zu ertragen und wenn das nicht hilft, geht er abends spazieren oder meditiert. Wäre er nicht so ein ruhiger Kater, würden hier aber öfter die Haarbüschel fliegen, denn Kiddo versucht mit einer großen Portion Charme und 'ner noch größeren Portion Selbstbewusstsein das Kommando zu übernehmen.

Wir beide sind sehr stolz auf den kleinen Kater und auch ein bisschen auf uns und – ganz wichtig- wir können wieder schlafen, bis wir mit einem Übungsmordsprung und einem Biss ins Ohr geweckt werden.